Zu Gast bei Freunden in der Puppenstube

So, vor dem nächsten WM-Spiel erzähl ich noch ne Runde von "Taiske" (schreibt sich Taisuke, spricht sich aber Taiske), meinem Japaner, der seit letzten Donnerstagmorgen hier in meinem Wohnzimmer in Oberrad logiert. "Zu Gast bei Freunden", ich war dabei. Jawoll.

Er ist echt klasse, sehr höflich, hat ein Excel-Sheet, das sein Leben hier in Deutschland durchplant und irgendwie cool. Am Donnerstag hat er erstmal ausgeschlafen und mich dann nachmittags angerufen, dass er in ner riesen Schlange für die Ticket-Ausgabe am Waldstadion anstehe. Ich hab´, weil wir seinen PC nicht ans Internet bekommen haben (hehe, japanische Beschriftung XP-Konfiguration für´s Netzwerk und ich mit rudimentären deutschen Technik-Kenntnissen) abends Stefan gefragt, ob er den Laptop einrichten kann. Konnte er und damit steht der Kommunikation nach Japan nix mehr im Wege. 

Mit der Aktion haben wir uns nen lockeren Abend in Sachsenhausen beim Ebbelwoi eingehandelt. Danach sind wir zur Sightseeing-Tour durch Frankfurt aufgebrochen und Taisuke hat nachts seine japanischen Kollegen bei Accenture und die Freunde in Tokio mit ersten Eindrücken aus Deutschland beglückt, die da lauteten:

1. Kommt nach Frankfurt, die Stadt ist einfach niedlich. So was wie eine Puppenstube.

2. Kaum zu fassen, aber Frankfurt hat nur 650.000 Einwohner, ist also keine Millionenstadt wie Tokio (mit über 10 Mio Einwohner im Inner-Circle).

3. Von Oberrad sieht man die Skyline und eigentlich sieht man von überall die Skyline.

4. Die Frankfurter sind stolz auf sieben Hochhäuser, die nicht annähernd so hoch sind wie unsere in Tokyo, aber (siehe oben) die Frankfurter sind stolz auf ihre Puppenstube, die man beim Kaffeetrinken auf dem Kaufhof-Restaurant betrachten kann.

5. Frankfurt ist die Stadt der kurzen Wege, in zwei Stunden habt ihr alles gesehen, was historisch wichtig ist, also es bleibt genug Zeit, noch auf der Zeil zu shoppen und dann nach Heidelberg zu fahren (siehe oben: Frankfurt ist niedlich)

6. In der Paulskirche begann die Demokratie in Deutschland, d.h. sie haben sich da ihres Kaisers irgendwie entledigt, ob das besser funktioniert, mag dahin gestellt sein. Aber die Paulskirche ist hübsch.

7. Der Römerberg ist "really real", also der Balkon, den man von Weltmeister-Feiern aus dem Fernsehen her kennt, den gibt es wirklich. Der Frankfurter Römer ist keine Film-Kulisse. Dort gibt es viele Kaiser-Bilder (siehe Paulskirche, keine Ahnung, warum die Frankfurter diese wunderbare Kaiser-Galerie nicht fortschreiben wollten, aber egal) und einen Krönungsweg zum Dom.

8. Auf dem Römerberg spielen gerade 1000 Engländer Fussball und schießen die Scheiben zum Kaisersaal ein. Aber die Polizei ist höflich und hat erst nach längerem Zuschauen unter Geheule der Engländer den Ball konfisziert. Frankfurter haben viel Geduld mit ausländischen Gästen. Auch wenn vieles nicht in Japanisch beschriftet ist, kommt man gut zu Fuss rum.

9. Neben dem Römer gibt es ein Restaurant, da bin ich einem Teil der Frankfurter Magistratsmitglieder (Chief of Finance, Chief of Police and Head of Integration) vorgestellt worden. Die haben dort gegessen und dem Fussballspiel der Engländer interessiert zugeschaut. Sehr freundlich so eine Stadtregierung, irgendwie echt und nicht nur im Fernsehen und im Römer, wo die Oberbürgermeisterin wohnt.

10. Die Frankfurter haben in der Fan-Arena einen großen Fernseher in den Main gebaut, ein Fluss, der Frankfurt von Sachsenhausen trennt.

11. In Sachsenhausen gibt es gutes Essen und "Ebbelwoi", und die Häuser sind lustig.

12. Kommt alle nach Frankfurt, es ist sehr sauber und freundlich und echt nicht teuer.

Das war so ungefähr das, was er mir erklärt hat, was ihm an unserer Sightseeing-Tour gefallen hat und er Japan mitteilen wollte.

Heute hat er mich gefragt, wo es Schuhspray gibt (sein Englisch ist nicht sooooo gut und mein Japanisch bis auf Arregato nicht existent). Ich bin übrigens dazu übergegangen, mit ihm Deutsch zu sprechen und mit Händen und Füssen zu erklären, was ich meine. Das gefällt ihm und wir verstehen uns, mal kucken, wie weit wir mit "Deutsch in drei Wochen" kommen. Er hat dann auf seine Turnschuhe gezeigt und mit den Händen ne Sprühdose imitiert. Ich hab dann meinen linken Mittel- und Zeigefinger in die Nase gesteckt und die Stirn gekräuselt. Da hat er sich checkig gelacht. Ich hab ihm dann auf dem japanischen Stadtplan die einschlägigen Schuhgeschäfte auf der Zeil markiert. Dafür hat er heute morgen dann das Geschirr der letzten drei Tage gespült. Als ich protestiert hab´, hat er es mit freundlich-japanischem Lächeln quittiert und mich mehr oder minder aus meiner Küche komplimentiert. Jetzt ist alles blitzeblank.

Gestern ist er nach Bonn gefahren, um die japanische Mannschaft beim Training zu sehen. Im Zug hat er einen Japaner getroffen, der eine zweite Karte von einem Japaner hatte, der früher zurückfliegen musste, für das Spiel in Dortmund. Dann ist er zum Schweden-Spiel mitgedüst und heute morgen total müde hier in Oberrad aufgeschlagen. Heute ist er wieder unterwegs, ich glaub Richtung Köln. Auf meine Frage, ob die Organisatoren nicht bei der Einlasskontrolle die Pässe sehen wollten, meinte er verschmitzt, dass sie dann auf "Nichtverstehen" und einen Japaner zur Übersetzung bestanden hätten. Aber in Dortmund hätte niemand kontrolliert, Japaner seien eben Japaner und keine englischen Hooligans. Ich hab´ ihm erzählt, was gestern am Römerberg los war, das fand er ziemlich unhöflich von den englischen Gästen.

Deutschland gefällt ihm gut, und so wie es aussieht, wird er seinen Aufenthalt in Deutschland über die Vorrunde hinaus verlängern. Das hat mich sehr gefreut.