Wer raucht, sieht kaltblütig aus

Vor zwei Jahren hatte ich schon mal das Vergnügen, die Frankfurter SPD mit einem Beitrag zur Erotik vor ihrer Lustfeindlichkeit zu bewahren. Wenn damals jemand prognostiziert hätte, dass ich - als Nichtraucherin - zwei Jahre später auf dem SPD-Parteitag eine Lanze fürs Nikotin breche, dann hätte ich das sicher nicht geglaubt. Aber gut, nun also ist die Zeit reif für ein paar Gedanken zum Rauchen.

Zigaretten, Alkohol, Fastfood, Fett. Mit immer härteren Verboten dringt der Staat zunehmend tiefer in die Privatsphäre seiner Bürger ein. Auf der Watch-List steht heute im Prinzip eigentlich alles, was Spaß macht. Und die ansonsten so oft gescholtene Industrie sekundiert mit Wellness-Ratgebern und Light-Produkt-Empfehlungen. Wir leben optimiert, austariert, umsorgt und gepäppelt. Dass wir dabei längst normiert und ausspioniert werden, fällt kaum ins Gewicht bzw. auf.

"Wer raucht, sieht kaltblütig aus". Dieser Satz stammt nicht von mir sondern von Brecht. Für ihn zählten Zigarren wie Kriminalromane zu "unverzichtbaren" Produktionsmitteln. Was wäre aus diesem Dichter heute ohne Glimmstängel geworden? Wie glaubt der Gesetzgeber entsteht Kunst? Bei Mineralwasser? Im Spaßbad?? Unter Joggern???

Wer heute raucht, sieht leider meist nicht sonderlich kaltblütig aus, sondern eher so, als ob es ihn kalt erwischt hätte. Denn ausgestoßen frieren die Nikotinabhängigen vor Kneipen, Restaurants und Bars. Während es früher die coolsten Typen und die schlauesten Köpfe waren, die rauchten, ist heute die Zigarette das Symbol von Losern, Prekariatsangehörigen und undisziplinierten Kerlen.

Früher stand die Zigarette für Rebellion und sexuelle Anziehungskraft. Wer sich lässig den Glimmstängel in den Mundwinkel klemmte, verstand Humphrey Bogart, Marlon Brando oder Marlene Dietrich. In den 447 Top-Ten-Filmen von 1990 bis 2000 rauchten laut einer Studie des Michael's Medical Center dagegen nur noch 24 Prozent aller Schauspieler. Und davon war wiederum für die Hälfte die Kippe das Markenzeichen des Verlierers. Wahrscheinlich erlegt selbst der Marlboro-Man den Büffel mittlerweile ohne Glimmstängel. Die große weite Welt, sie riecht nicht mehr nach Abenteuer. Sie riecht nach Sagrotan.

1919 hat der Soziologe Georg Simmel den Ersatz der behäbigen Zigarre durch die schlanke Zigarette als Symptom für die Kurzatmigkeit unserer modernen Welt gesehen. Was aber hat die komplette Auslöschung aller Tabakwaren aus unserem öffentlichen Leben nun zu bedeuten? Wenn im Alltag einer Gesellschaft keine Orte mehr für den Genuss, für Ausschweifungen oder gar Exzesse vorgesehen sind, dann sind wir auf dem besten Wege in eine therapeutische Sicherheitsgesellschaft.
Es geht also nicht nur um den Nichtraucherschutz, den ich übrigens in Restaurants oder öffentlichen Gebäuden außerordentlich begrüße. Dieses Gesetz verströmt eine generelle Lust am Verbot, der über ein vernünftiges Nebeneinander triumphiert.

In den Sachsenhäuser Antrag "Nichtraucherschutzgesetz für Ein-Raum-Kneipen novellieren" geht es uns konkret um die Frage, wie weit der Staat beim Nichtraucherschutz gehen darf. Und da bin ich der Meinung, dass es einige wenige Orte, wie zum Beispiel Einraumkneipen für die wahrlich arg gebeutelten Gastwirte und Raucher geben muss. Für sie hat die kleine Kneipe auch eine wichtige soziale Funktion. Denn sie dient Losern, Prekariatsangehörigen und undisziplinierten Kerlen, sich mit der Zigarette für einen kleinen Moment wie Humprey Bogart zu fühlen, der den Duft der großen weiten Welt verspürt.