Parteiarbeit im Netz ist keineswegs ein neues Thema.
Die Gründer des „Virtuellen Ortsvereins“ (VOV) ergriffen bereits im Juni 1995
die Chancen des Internets – und waren damit Vorreiter der digitalen
Parteiorganisation. Ein Interview mit Petra Tursky-Hartmann, ehemalige
Vorsitzende des VOV.
vorwärts.de: Die Chancen des Internets für die Demokratie nutzen,
dafür wirbt einer der Leitanträge
auf dem diesjährigen Bundesparteitag. Darin steht: „Wer sich nicht im Ortsverein
engagieren will, kann sich online ein geeignetes Mitmachangebot suchen.“ Das
klingt ganz nach dem, was der „Virtuelle
Ortsverein“ bereits Mitte der neunziger Jahre verkörperte. Ist der VOV noch
aktiv?
Petra Tursky-Hartmann: Den Virtuellen Ortsverein gibt es zwar noch, aber er
spielt in netzpolitischen Debatten faktisch keine Rolle mehr. Netzpolitische
Debatten in der SPD haben sich in andere Initiativen verlagert, wie den
Gesprächskreis Netzpolitik beim SPD-Parteivorstand. Oder den Online-Beirat, der
bis 2009 aktiv war. Ich kenne aus Facebook außerdem einige sehr aktive
Arbeitskreise, zum Beispiel aus Schleswig-Holstein oder
Baden-Württemberg.
Der VOV hat lange mit dem Parteivorstand um ein Antragsrecht gestritten.
Im Leitantrag heißt es nun, die SPD wolle die Entwicklung von Initiativen und
Anträgen im Netz fördern und mit Antrags- und Rederechten auf Parteitagen
versehen. Was denken Sie, wenn Sie das heute lesen?
Guter Plan! Nein, ernsthaft, ich begrüße das ausdrücklich. Der
Bundesparteitag hat zwar 2003 bereits in Bochum entschieden, dass der Virtuelle
Ortsverein Antragsrecht bekommen soll. Aber das ist leider bis heute nicht vom
Parteivorstand umgesetzt worden.
War das verweigerte Antragsrecht einer der Gründe, weshalb Sie 2007 nach
zehn Jahren Vorsitz des VOV nicht noch einmal für den Posten
kandidierten?
Sicher auch, ja. Wobei ich das Thema „Netzpolitik“ mehr als Staffellauf
sehe. Und da rennen jetzt eben die nächsten ein Stück weiter. Ich hatte 2007 -
nach knapp 12 Jahren im Netz - meine Prioritäten wieder in die reale Politik
zurück verlegt. Online im Netz hieß ja nichts anderes als 365 Tage im Jahr
Mitgliederversammlung zu haben. Da gehen einem auch irgendwann die Ideen aus.
Das war eine meiner Erfahrungen mit dem VOV, der 1995 auf dem Bundesparteitag in
Mannheim initiiert und 1997 vom Parteivorstand als Arbeitskreis anerkannt worden
war.
Sie waren fünf Jahre lang ehrenamtliche Vorsitzende des Virtuellen
Ortsvereins. Was hat Sie an diesem Posten besonders gereizt?
Meine Entscheidung, mich im VOV zu engagieren, war maßgeblich durch den
Leitantrag „Von der Utopie zur Wirklichkeit: Aufbruch in die
Informationsgesellschaft“, der 1997 auf dem Bundesparteitag angenommen wurde,
beeinflusst worden. Der Leitantrag forderte, staatliche Regulierung im Netz
weitestgehend zu reduzieren bzw. nur dann einzusetzen, wenn die Selbstkontrolle
versage. Verbraucher- und Persönlichkeitsrechte, Jugend- und Datenschutz sollten
im Mittelpunkt stehen, Urheberrechte und Leistungsschutz gesichert werden.
Interessant, dass das, was heute im Netz engagiert diskutiert wird, nicht so neu
ist. Der VOV, der Anfang 2000 über 1000 eingeschriebene Mitglieder (davon nur 10
Prozent Frauen) hatte, hat natürlich auch Anträge beschlossen, die es dem
Parteivorstand nicht leicht gemacht haben, beispielsweise die Positionen zur
Vorratsdatenspeicherung oder zum Software und Patentwesen. Aber Netzpolitik ist
eben auch immer mehr gewesen als die Verabschiedung von Rundfunkstaatsverträgen,
die in Hauptausschüssen von Landtagen stillschweigend durchgewunken
werden.
Sie sind selbst sehr aktiv im Netz. Halten Sie die in den Anträgen zur
Netzpolitik formulierten Forderungen nach mehr Teilhabe und Transparenz für
durchsetzungsfähig in der Partei?
Also wenn ich mir anschaue, wie populär und attraktiv die Piratenpartei
momentan für jüngere Menschen sind, hoffe ich, dass meine Partei nicht ihren
Fehler aus den Achtzigern wiederholt, als sie das Umweltthema den Grünen
überließ. Die aktuellen Diskussionen von Bundestrojaner über Netzsperren und
Guttenberg-Plag bis hin zum Datenschutz auf Social-Media-Plattformen werden
unsere Gesellschaft noch öfters beschäftigen. Da sollte die SPD schon eigene
Positionen entwickeln.
Was wünschen Sie den politischen Netz-Initiativen für die Zukunft und
welche Tipps können Sie ihnen mit auf den Weg geben?
Darf ich auch dem Parteivorstand einen Tipp geben?
Aber natürlich.
Ich hoffe, dass der Bundesparteitag im Dezember das Vertrauen in seine
netzpolitischen Aktivisten setzt und dies offensiv durch die Einführung eines
Antrags- und Rederecht auf Parteitagen dokumentiert. Munter geführte
Netzdebatten machen die SPD gerade für junge Menschen, die ja mittlerweile alle
durch das Netz sozialisiert wurden, interessant. Und an die Vertreter der
Netzinitiativen gerichtet würde ich sagen, haltet durch. Es kommt sowieso so,
wie ihr das heute diskutiert.
Vielen Dank für das Interview!