Prag und die Geschichte vom Mann mit dem Pferd


Text: Petra Tursky-Hartmann
Fotos: Petra Tursky-Hartmann, Stephan Wiesner, Wikipedia, NARA, Bundesarchiv (Bild 183-L22898, Bulgarien, Generaloberst Ferdinand Schörner), Karten www.wehrmacht-forum.de 

Es riecht so wunderbar nach Weihnachten, nach heißen Maronen, leckerer Bratwurst und verzuckerten Trdelníks. Dabei hat das Jahr 2019 längst begonnen. In den hell erleuchteten Schaufenstern von Prag funkeln Granatschmuck, Kristallgläser und goldverzierte Karaffen aus böhmischem Glas mit den lichtergeschmückten Bäumen auf der Straße um die Wette.


Kalte Schneeflocken zerschmelzen auf Nase und Wangen, und ich genieße den Charme meines kleinen privaten Wintermärchens. Auch wenn ich erst mal ungebremst in einen Eimer Splitt schlittere, den drei eingemummelte Frauen in orangefarbenen Warnwesten vor dem vereisten Zebrastreifen abgestellt haben.


Dem heiligen Wenzel vor dem hell erleuchteten Nationalmuseum scheint das turbulente Schneegestöber offensichtlich nichts auszumachen. Im Gegensatz zu den flackernden Windlichtern vor den Hufen seines Rosses, die gegen die stürmischen Windböen chancenlos sind. Der Landespatron der Tschechen hat hier oben einen unverstellten Blick auf die Prager Innenstadt und auf die Zeitläufte. Denn vom Denkmal des friedliebenden Fürsten sind bereits etliche Demonstrationen ausgegangen, 1945 gegen die Nationalsozialisten, 1968 gegen die russischen Panzer. Und im November 1989 die „Samtene Revolution“, die Freiheit und Demokratie einforderte.


Nur einen Steinwurf entfernt, in der Lucerna-Passage, sitzt ein zweiter Wenzel direkt unter der lichtdurchfluteten Kuppel auf dem Bauch eines an den Hufen aufgehängten toten Pferdes. Was die Skulptur des tschechischen Bildhauers David Černý irgendwie surreal wirken lässt. Aber was ist in Zeiten von Fake News noch real? Meine Gedanken schweifen ab zu Bernhard, dem älteren Bruder meiner Großmutter Wally. Er hat, wie sein Vater, der im Ersten Weltkrieg Kurassier in einem Husarenregiment war, Pferde geliebt. Doch der 1914 in Ober Salzbrunn geborene Oberfeldwebel der 2. Fahr-Ersatz-Abteilung 3, eines in Fürstenwalde stationierten Kavallerie-Regiments der Wehrmacht, gilt bis heute als vermisst. Die letzte Nachricht, so der Suchdienst vom Deutschen Roten Kreuz, stamme laut seinem Vater vom März 1945 aus Prag.


Was ich seit der Zusendung der Vermisstenbildliste vom 337. Grenadier Ersatz- und Ausbildungsbataillon bezweifle. Laut „Forum der Wehrmacht“ ist Bernhard Wiesners letzte Einheit im Dezember 1944 ins Tiborlager nach Schwiebus verlegt und im Februar 1945 aufgelöst worden. Alle mit meinem Großonkel auf der Karte abgebildeten Soldaten sind seitdem verschollen. Und ich frage mich, wie viele Spuren sich 74 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs überhaupt noch finden lassen? In den aus Moskau übermittelten Daten der in den Lagern der ehemaligen Sowjetunion verstorbenen Kriegsgefangenen ist er bis heute nicht gelistet. Die einzigen Fakten hat eigentlich nur das Amtsgericht Hannover geschaffen und Bernhard 1950 auf Antrag seiner Frau Hilde für tot erklärt.


Neben einem ausrangierten Straßenbahnwaggon suche ich Schutz vor dem eisigen Wind, der sich unbarmherzig wie fiese Nadelstiche in Hände und Gesicht bohrt. Am Bauzaun gegenüber sind historische Fotos von Adolf Hitler und der deutschen Wehrmacht angeklebt. Laut Wikipedia ist den Nationalsozialisten 1939 durch den Einmarsch in die Tschechoslowakei auch die Ausrüstung von vierzig tschechischen Divisionen in die Hände gefallen. Es war der Auftakt für ihren erbarmungslosen Feldzug kreuz und quer durch Europa.


Vor mir hält die Straßenbahnlinie 5 nach „Barrandov“, das sogenannte Hollywood des Ostens. „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ bzw. „Mission Impossible“ sind hier produziert worden. Aber auch Spielfilme wie „Große Freiheit Nr. 7“ mit Hans Albers. Denn um der Bombardierung Hamburgs zu entgehen, ist die Produktion 1944 von der Elbe an die Moldau verlegt worden. Was problemlos möglich war, da die deutschen Besatzer die Barrandov-Studios „arisiert“ und in Prag-Film AG umbenannt hatten. „Es fing so harmlos an“ heißt einer der vielen „Heile-Welt-Filme“, in denen auch der Onkel meiner Oma, Arthur Wiesner, ab 1941 als Schauspieler mitgewirkt hat.


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Petra Tursky-Hartmann: Zur besonderen Verwendung
Eine Reise in die Vergangenheit meiner Familie
Paperback, 246 Seiten
ISBN-13: 9783756818334
Verlag: Books on Demand
Erscheinungsdatum: 10.01.2023
Sprache: Deutsch
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Vielen Dank für Ihr Interesse