Publix - Ein Labor für Innovationen im Journalismus
Fotos: Rainer Rüffer, Petra Tursky-Hartmann
Am 12. November 2024 war es endlich wieder so weit, als am frühen Morgen 34 Mitglieder des Frankfurter PresseClubs und der Media University Frankfurt per ICE zur eintägigen Fortbildungsreise nach Berlin aufbrachen.
Publix: Ein Labor für Innovationen im Journalismus
Mit Publix habe Berlin ein einzigartiges Kompetenzzentrum für Wissenstransfer, Vernetzung und Innovation gewonnen, begrüßte der Communications Lead Anne Gröger die Frankfurter Gäste in der „Box“. 25 Millionen Euro habe die gemeinwohlorientierte Schöpflin Stiftung in das Haus zum Schutz unabhängiger Medien und einer lebendigen Demokratie investiert. Hans Schöpflin war überzeugt, dass die Arbeit aller Beteiligten in einem gemeinsamen Haus durch Austausch, Wissenstransfer und Zusammenarbeit an Qualität und Wirksamkeit gewinne. Das Projekt wird auch von der Stiftung Mercator Schweiz und der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS unterstützt und bietet seit der Eröffnung im September 2024 für 25 Organisationen, z. B. Netzwerk Recherche, Reporter ohne Grenzen, Correctiv und verschiedene Co-Worker rund 350 Arbeitsplätze auf 4.000 Quadratmetern. Journalismus benötige Vernetzung, so Gröger, deshalb habe die Intendantin Maria Exner im Bewerbungsprozess der Mietparteien Wert auf Diversität gelegt. In neun Ateliers können Gäste Arbeit und Übernachtung im Haus verbinden. Außerdem stehe die Kantine jederzeit der Nachbarschaft offen.
Netzwerk Recherche: Knowhow und Interessenvertretung
Um die journalistische Recherche und den Qualitätsjournalismus in Deutschland zu stärken, ist im Jahr 2001 das Netzwerk Recherche gegründet worden. Heute zählt der gemeinnützige Verein zirka 1.300 Mitglieder und verfügt über ein Budget von 700.000 Euro pro Jahr. „Wir vermitteln das nötige Handwerk mit klassischen und innovativen Methoden“, berichtete Thomas Schnedler, der nach seinem Studium der Diplom-Journalistik in Dortmund und einem Volontariat bei der HNA in Kassel in Hamburg über prekäre Arbeit im Journalismus promoviert hat. Eine lebendige Demokratie brauche eine kritische Berichterstattung, die Hintergründe aufklärt und Missstände aufdeckt.
Verschlossene Auster für Volker Wissing und Bundesverkehrsministerium
Bekannt ist die NGO für die „Verschlossene Auster“. 2024 wurde die Plastik des Marburger Künstlers Ulrich Behner an Volker Wissing und das Bundesverkehrsministerium für ihren problematischen Umgang mit Recherchen des Handelsblatts verliehen. „Nur Otto Schily hat seinen Preis 2002 noch persönlich abgeholt, allen anderen Preisträgern mussten wir die Auster per Post zustellen“, berichtete der Co-Geschäftsführer lächelnd.
Helpline – Telefonberatung bei mentaler Belastung
Hohe Arbeitsbelastung, prekäre Beschäftigung, niedrige Honorare, Druck in der Redaktion, Bedrohungen auf Demonstrationen oder grausame Bilder – mit vielen Anforderungen bleiben Kolleginnen und Kollegen oftmals im Alltag allein. Um mental belasteten Journalistinnen und Journalisten zu helfen, bietet die „Helpline“ von Netzwerk Recherche ihren Mitgliedern eine unabhängige, anonyme und kostenlose Telefonberatung.
Nachrichtenwüsten in Deutschland?
Die aktuelle Studie „wüstenradar.de“ der Rudolf Augstein Stiftung habe einen validen Zusammenhang zwischen der Schwächung der Lokalpresse und negativen Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Demokratie gemessen. In Greiz, das von den FUNKE Medien Thüringen zur „Modellregion für die Digitalisierung des ländlichen Raums“ erklärt worden sei, habe der Verlag die Zustellung der „Ostthüringer Zeitung“ im Mai 2023 aus Kostengründen eingestellt. Der Abschied von der einzigen gedruckten Lokalzeitung im Landkreis sei zwar von einem kostenlosen iPad und einem intensiven Medienbildungsprogramm für Seniorinnen und Senioren flankiert worden, leider sei, so Schnedler, nur ein Bruchteil der 360 Abonnenten zur digitalen Ausgabe gewechselt. Aus heutiger Sicht sei wahrlich „keine Erfolgsstory, wie Digitalisierung funktionieren kann.“ Die Informationslücke, die die Lokalzeitung hinterlassen habe, werde heute von zwei kostenlosen Anzeigenblättern, die u. a. Pressemeldungen der AfD übernehmen, geschlossen.
Reporter ohne Grenzen – recherchieren, anklagen, unterstützen
„Pressefreiheit ist ein Menschenrecht“, betonte Christopher Resch in der zweiten Gesprächsrunde am Nachmittag. „Reporter ohne Grenzen“ (RSF) setze sich weltweit für die Sicherheit und den Schutz von Journalistinnen und Journalisten ein. „Wir kämpfen online wie offline gegen Zensur, Überwachungstechnik und restriktive Mediengesetze.“ Deutschland sei im vergangenen Jahr im Ranking für die Pressefreiheit auf Platz 21 abgerutscht. Ursache waren mehr als 100 Angriffe auf Medienschaffende bei Demonstrationen, so der Pressereferent aus dem Berliner Team der internationalen Menschenrechtsorganisation.
Barometer der Pressefreiheit
2023 wurden laut RSF 521 Medienschaffende inhaftiert, 84 sind verschwunden, 54 wurden entführt und 45 getötet. Besonders gefährlich sei es derzeit im Gazastreifen, mindestens 17 Journalistinnen und Journalisten sind seit dem 7. Oktober 2023 im Gazastreifen (13), in Israel (1) und im Libanon (3) getötet worden. „Wir brauchen Leute, die Kriegsverbrechen dokumentieren“, war Resch, der in Leipzig und Istanbul Journalistik und Arabistik studiert hat und für die Deutsche Welle, den Deutschlandfunk sowie als freier Journalist zu Nahost- und Nordafrika-Themen gearbeitet hat, zutiefst überzeugt. Das gefährlichste Land für Medienschaffende außerhalb von Kriegsgebieten sei Mexiko, Ursache sei der internationale Drogenhandel.