"Lieber schweigen als riskieren, sich strafbar zu machen"
Im Rahmen eines Clubabends am Frankfurter Presseclub fand am 17. September 2025 eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion zum Thema „Pressefreiheit in Gefahr – Viktor Orbáns Angriffe auf unabhängige Medien in Ungarn“ statt. Unter der Moderation von Vorstandsmitglied Karsten Frerichs diskutierten die renommierte freie Wissenschaftsjournalistin Dr. Petra Thorbrietz und Prof. Dr. Gábor Polyák, Leiter des Instituts für Medien und Kommunikation der Eötvös-Loránd-Universität Budapest, die die systematischen Angriffe auf die Pressefreiheit, die politischen Strukturen Ungarns und die Rolle der EU.
Ein Buch als Liebeserklärung an Ungarn und Europa
Sehr empathisch schilderte Petra Thorbrietz, warum ihr Buch „Wir werden Europa erobern! Ungarn, Viktor Orbán und die unterwanderte Demokratie“ nicht nur die politischen Brüche, sondern auch ihre Faszination für das osteuropäische Land widerspiegelt: „Das Buch ist in Teilen eine Liebeserklärung, weil es die Komplexität, die Leidenschaft und die Hoffnung in einem Land zeigt, das von politischer Konfrontation geprägt ist.“ Ihr Buch handele primär von Ungarn, aber „es geht um Europa“.
Bedrohung der Pressefreiheit durch Transformation von Strukturen
Gábor Polyák führte aus, dass die Bedrohung der Pressefreiheit eng mit der gezielten Transformation von Strukturen zusammenhänge: „In der ersten Phase wurde der öffentlich-rechtliche Rundfunk de facto in einen Staatsrundfunk umgebaut.“ Heute bestehe die Medienbehörde ausschließlich aus Fidesz-nominierten Mitgliedern. Und das 2023 eingerichtete „Amt zur Verteidigung der Souveränität“ stehe nicht nur neben dem ungarischen Justizapparat, so Thorbrietz, sondern sei ein eklatanter Verstoß gegen EU-Recht. Wenn eine Zeitung schreibe, dass sie dafür ist, dass die Ukraine unterstützt werden muss, also die EU-Linie vertrete, dann könne man das in Ungarn durchaus als „Verrat der Souveränität“ interpretieren. Alles zusammen habe zu der Entwicklung geführt, dass Skandale in Ungarn nicht von der Opposition, sondern zunehmend von unabhängigen Internetsendern wie Partizán-TV aufgedeckt würden, da sie die eigentliche „Wühlmausarbeit“ machen.
Der Chilling-Effekt: Ein durch Unsicherheit geprägtes Klima
Das Klima für Journalisten in Ungarn ist aktuell von großer Unsicherheit geprägt. Gesetze wie das Transparenzgesetz sind so vage formuliert, sodass Journalisten und Journalistinnen oftmals lieber schweigen als riskieren, sich strafbar zu machen. Das führe, so Polyák, der 2020 für seinen Einsatz für die Freiheit von Forschung und Lehre sowie für das Recht auf freie Meinungsäußerung von der Universität Potsdam mit dem Voltaire-Preis für Toleranz, Völkerverständigung und Respekt vor Differenz ausgezeichnet wurde, zum sogenannten Chilling-Effekt. Investigativer Journalismus in Ungarn sei nur durch mutige Einzelkämpfer möglich, ohne sie würden viele Skandale nicht aufgedeckt werden. Pluralismus bedeute eigentlich, Kritik ist erwünscht, weil sie uns Alternativen aufzeigt. Doch „Orbán hasst alle Arten von Kritik“ und alles, was als Kritik verfasst ist, werde von ihm und Fidesz als Angriff betrachtet.
European Media Freedom Act lässt Spielräume für Nationalstaaten
Das 2024 von der EU verabschiedete Medienfreiheitsgesetz (EMFA) mache zwar Hoffnung – doch seine Wirkung bleibe unklar. „Es kann populistische Schritte in anderen Ländern zumindest bremsen, aber wie es durchgesetzt wird, ist offen“, betonte Polyák. Da Sanktionen nicht klar geregelt seien, gebe es durchaus noch Spielräume für populistische Schritte in anderen Nationalstaaten.
Pride-Demonstration in Budapest macht Hoffnung
Hoffnung mache aber auch, dass das, was Viktor Orbán eigentlich unbedingt verhindern wolle, Budapest in diesem Sommer hautnah erlebt habe: die größte Demonstration der Geschichte des Landes – ausgelöst durch das Verbot einer Pride-Parade. „Ich glaube nicht, dass Orbán noch eine solche Demonstration auf den Straßen sehen will“, fasste Polyák die Podiumsdiskussion am Ende zusammen. Solange es eine öffentliche Gegenwehr gebe, spreche die politische Kalkulation des ungarischen Ministerpräsidenten eher gegen die weitere Verschärfung repressiver Gesetze vor der nächsten Wahl in 2026.