TIEFENBOHRUNG
Hanna Hartmanns »Tod im Licht der Luminale«
eine Rezension von Alf Meyer*
Strandgut (Ausgabe 08/2012) in der Krimi-Kolumne "Blutige Ernte"
»Mögen Sie den Song ›Crazy‹?«, wird Kommissarin Edith Tannhäuser im Frankfurt-Krimi »Tod im Licht der Luminale« kurz vor Romanende gefragt. »Die Stadt ist schon verrückt genug«, antwortet sie. Wer die 243 Seiten gelesen hat, kann dem eigentlich nur zustimmen. Edith ist das Alter ego der Frankfurter Autorin Hanna Hartmann. Nach ihrem Erstling »Darling«, der mit scharfer Feder ein wenig bekanntes, modernes Frankfurt-Bild zeichnete, hat sie sich zwei Jahre Zeit gelassen, hat recherchiert – und ist dabei auf interessante Weise fündig geworden. Viele der Informationen und Hintergründe in ihrem neuen Roman werden für die allermeisten Leser eine echte Überraschung sein.
Gemeint sind damit nicht nur historische Anekdoten wie etwa die des Unternehmers Alfred Teves, der noch lange nach 1933 seine jüdischen Mitarbeiter beschützte und beim 30-jährigen Firmenjubiläum seiner Automobilzulieferfirma ATE die Honoratioren der Stadt Frankfurt im Namen »August Hitlers« begrüßte, weil ihm der Wind sein Manuskript weggeweht und er ein schlechtes Namensgedächtnis hatte. 1936 war so etwas ein unglaublicher Affront gegen die an die Macht gekommenen Nazis, nur die Einstufung seiner Fabriken als »kriegswichtig« bewahrte Teves vor Sanktionen.
Der Buchtitel bezieht sich auf das alle zwei Jahre stattfindende Licht-Festival, das mit über 160 Veranstaltungen und Lichtereignissen in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet zu den bedeutendsten Architektur- & Designfestivals in Europa gehört. Einer der Orte der Luminale hat es der Autorin – und dies ist eine die Qualität ihrer Tiefenbohrung nur unzureichend wiedergebende Formulierung – besonders angetan. Es ist der Glauburgbunker im Frankfurter Nordend. Dieser, vielen Einheimischen vermutlich unbekannte Ort beherbergt seit einigen Jahren das Explora-Museum, aufgebaut von den Privatleuten Gerhard O. Stief und Ines Martini. Die weltweit ziemlich einzigartige Sammlung optischer Täuschungen, Wahrnehmungsexperimente und -kunst umfaßt Stereofotografien, 3D-Anaglyphen, Prismen, Holografien, Anamorphosen, Vexierbilder und unmögliche Figuren. Auch Kinder können vielfältige Entdeckungen machen. Es ist, da ja die eigene Wahrnehmung gefordert wird, ein rundum interaktives Museum. Stief kaufte das inzwischen hochwertig renovierte Gebäude, als es 1995 vom Bundesvermögensamt aus der Zivilschutzbindung genommen wurde. Es gibt Tagungsräume und allerlei Fazilitäten sowie eine Dachterrasse mit wunderbarem Ausblick auf Frankfurt und den Taunus aus einer ungewohnten Perspektive.
Nach Kriegsende diente er zunächst als Unterkunft für Flüchtlinge, dann wurde er wieder zum Pfandhaus und knüpfte so an ein Stück schändlicher Stadtgeschichte an. Denn im Bunker befand sich ein ominöser gewaltiger Tresor. Dieser gehörte der Städtischen Darlehensanstalt, die während der Nazi-Zeit die offizielle Ankaufsstelle für Juwelen und Edelmetalle von Juden war. Alleine bis Mai 1939 wurden aus dem Stadtgebiet rund 10.000 Ablieferungen verzeichnet.
Unglaublich viele Menschen waren daran beteiligt, sich an der Not der Juden zu bereichern. Der Hausrat der Bewohner einer mittleren Kleinstadt, alles von der Gestapo beschlagnahmter jüdischer Besitz, kam in Frankfurt öffentlich unter den Hammer. All diese Versteigerungstermine wurden von den Frankfurter Gerichtsvollziehern öffentlich bekannt gemacht. Und die Frankfurter gingen hin, um Schnäppchen zu machen. Davon aber etwas gewußt haben wollte später dann niemand. Ein gewisser Dr. Holzinger zum Beispiel tat sich bei der Überprüfung beschlagnahmten jüdischen Kunstbesitzes hervor, und nach 1945 beauftragten ausgerechnet ihn die Amerikaner als Direktor der Museen in Großhessen mit der Rückerstattung der Museumsstücke, an deren Aneignung er während der NS-Zeit vermutlich nicht unwesentlich Anteil gehabt hat.
Nach dem Krieg bezog die erste Frankfurter Bank, die Frankfurter Kredit- und Darlehensanstalt, im Glauburgbunker Domizil, später vermietete die Stadt das Bauwerk an eine Landsmannschaft, dann an einen Getränkehandel, in der 60ern hatte der Karnevalsclub »Die Nordendler« hier seine Klubräume, 1995 kaufte Gerhard O. Stief den teils mit Tonnen Taubenmist gefüllten Betonklotz und fing an, sein Explora-Museum aufzubauen.
So bietet dieser Kriminalroman nicht nur eine Mordermittlung, ein wichtiges Stück Zeitgeschichte wird aufgerollt, klug ergänzt durch eine Dienstreise der Kommissarin Tannhäuser nach Berlin, wo sie die Initiative »Lost Places« kennenlernt. Solch einen verlorenen Ort hat die Autorin im Nordend entdeckt und macht ihn uns mit diesem Buch zugänglich. Davor ziehe ich den Hut.
Hanna Hartmann:
Tod im Licht der Luminale
Societäts-Verlag 2012,
244 Seiten. 12,80 Euro.www.exploramuseum.de
Glauburgplatz 1, 60318 Frankfur
Hanna Hartmanns »Tod im Licht der Luminale«
eine Rezension von Alf Meyer*
Strandgut (Ausgabe 08/2012) in der Krimi-Kolumne "Blutige Ernte"
»Mögen Sie den Song ›Crazy‹?«, wird Kommissarin Edith Tannhäuser im Frankfurt-Krimi »Tod im Licht der Luminale« kurz vor Romanende gefragt. »Die Stadt ist schon verrückt genug«, antwortet sie. Wer die 243 Seiten gelesen hat, kann dem eigentlich nur zustimmen. Edith ist das Alter ego der Frankfurter Autorin Hanna Hartmann. Nach ihrem Erstling »Darling«, der mit scharfer Feder ein wenig bekanntes, modernes Frankfurt-Bild zeichnete, hat sie sich zwei Jahre Zeit gelassen, hat recherchiert – und ist dabei auf interessante Weise fündig geworden. Viele der Informationen und Hintergründe in ihrem neuen Roman werden für die allermeisten Leser eine echte Überraschung sein.
Gemeint sind damit nicht nur historische Anekdoten wie etwa die des Unternehmers Alfred Teves, der noch lange nach 1933 seine jüdischen Mitarbeiter beschützte und beim 30-jährigen Firmenjubiläum seiner Automobilzulieferfirma ATE die Honoratioren der Stadt Frankfurt im Namen »August Hitlers« begrüßte, weil ihm der Wind sein Manuskript weggeweht und er ein schlechtes Namensgedächtnis hatte. 1936 war so etwas ein unglaublicher Affront gegen die an die Macht gekommenen Nazis, nur die Einstufung seiner Fabriken als »kriegswichtig« bewahrte Teves vor Sanktionen.
Der Buchtitel bezieht sich auf das alle zwei Jahre stattfindende Licht-Festival, das mit über 160 Veranstaltungen und Lichtereignissen in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet zu den bedeutendsten Architektur- & Designfestivals in Europa gehört. Einer der Orte der Luminale hat es der Autorin – und dies ist eine die Qualität ihrer Tiefenbohrung nur unzureichend wiedergebende Formulierung – besonders angetan. Es ist der Glauburgbunker im Frankfurter Nordend. Dieser, vielen Einheimischen vermutlich unbekannte Ort beherbergt seit einigen Jahren das Explora-Museum, aufgebaut von den Privatleuten Gerhard O. Stief und Ines Martini. Die weltweit ziemlich einzigartige Sammlung optischer Täuschungen, Wahrnehmungsexperimente und -kunst umfaßt Stereofotografien, 3D-Anaglyphen, Prismen, Holografien, Anamorphosen, Vexierbilder und unmögliche Figuren. Auch Kinder können vielfältige Entdeckungen machen. Es ist, da ja die eigene Wahrnehmung gefordert wird, ein rundum interaktives Museum. Stief kaufte das inzwischen hochwertig renovierte Gebäude, als es 1995 vom Bundesvermögensamt aus der Zivilschutzbindung genommen wurde. Es gibt Tagungsräume und allerlei Fazilitäten sowie eine Dachterrasse mit wunderbarem Ausblick auf Frankfurt und den Taunus aus einer ungewohnten Perspektive.
Petra Tursky-Hartmann (so ihr bürgerlicher Name und als SPD-Aktivistin gar manchem bekannt) durfte sich in dem Hochbunker gründlich umsehen, und augenzwinkernd erlaubte ihr der Museums-Chef auch, ihn als Fiesling darzustellen und als gräßlich zugerichtetes Mordopfer zu drapieren. Die Aufklärung des Falles bringt die ermittelnden Polizisten zurück in die Vergangenheit. Und hier zeigt sich, auf welche Goldmine Hanna Hartmann mit dem Glauburgbunker gestoßen ist.
Der Stahlbeton war damals technologisch das Nonplusultra, die Außenwände zwei Meter fünfzehn dick, der oben mit normalen »deutschen« Hausdächern und Kaminen getarnte Koloß galt als absolut bombensicher, deutsche Wertarbeit zuzusagen. 1938 für den Zivilschutz geplant, wurde der Bunker im Sommer 1942 fertiggestellt, bevor die ersten Luftangriffe auf Frankfurt geflogen wurden. Mindestens 1.200 Menschen sollten in den 50 als »giftgassicher« eingestuften Räumen Zuflucht finden, insgesamt gab es 38 solch ähnlicher Bunkeranlagen im Stadtgebiet für die damals knapp 550.00 Frankfurter.
Der Stahlbeton war damals technologisch das Nonplusultra, die Außenwände zwei Meter fünfzehn dick, der oben mit normalen »deutschen« Hausdächern und Kaminen getarnte Koloß galt als absolut bombensicher, deutsche Wertarbeit zuzusagen. 1938 für den Zivilschutz geplant, wurde der Bunker im Sommer 1942 fertiggestellt, bevor die ersten Luftangriffe auf Frankfurt geflogen wurden. Mindestens 1.200 Menschen sollten in den 50 als »giftgassicher« eingestuften Räumen Zuflucht finden, insgesamt gab es 38 solch ähnlicher Bunkeranlagen im Stadtgebiet für die damals knapp 550.00 Frankfurter.
Nach Kriegsende diente er zunächst als Unterkunft für Flüchtlinge, dann wurde er wieder zum Pfandhaus und knüpfte so an ein Stück schändlicher Stadtgeschichte an. Denn im Bunker befand sich ein ominöser gewaltiger Tresor. Dieser gehörte der Städtischen Darlehensanstalt, die während der Nazi-Zeit die offizielle Ankaufsstelle für Juwelen und Edelmetalle von Juden war. Alleine bis Mai 1939 wurden aus dem Stadtgebiet rund 10.000 Ablieferungen verzeichnet.
Unglaublich viele Menschen waren daran beteiligt, sich an der Not der Juden zu bereichern. Der Hausrat der Bewohner einer mittleren Kleinstadt, alles von der Gestapo beschlagnahmter jüdischer Besitz, kam in Frankfurt öffentlich unter den Hammer. All diese Versteigerungstermine wurden von den Frankfurter Gerichtsvollziehern öffentlich bekannt gemacht. Und die Frankfurter gingen hin, um Schnäppchen zu machen. Davon aber etwas gewußt haben wollte später dann niemand. Ein gewisser Dr. Holzinger zum Beispiel tat sich bei der Überprüfung beschlagnahmten jüdischen Kunstbesitzes hervor, und nach 1945 beauftragten ausgerechnet ihn die Amerikaner als Direktor der Museen in Großhessen mit der Rückerstattung der Museumsstücke, an deren Aneignung er während der NS-Zeit vermutlich nicht unwesentlich Anteil gehabt hat.
Nach dem Krieg bezog die erste Frankfurter Bank, die Frankfurter Kredit- und Darlehensanstalt, im Glauburgbunker Domizil, später vermietete die Stadt das Bauwerk an eine Landsmannschaft, dann an einen Getränkehandel, in der 60ern hatte der Karnevalsclub »Die Nordendler« hier seine Klubräume, 1995 kaufte Gerhard O. Stief den teils mit Tonnen Taubenmist gefüllten Betonklotz und fing an, sein Explora-Museum aufzubauen.
So bietet dieser Kriminalroman nicht nur eine Mordermittlung, ein wichtiges Stück Zeitgeschichte wird aufgerollt, klug ergänzt durch eine Dienstreise der Kommissarin Tannhäuser nach Berlin, wo sie die Initiative »Lost Places« kennenlernt. Solch einen verlorenen Ort hat die Autorin im Nordend entdeckt und macht ihn uns mit diesem Buch zugänglich. Davor ziehe ich den Hut.
Tod im Licht der Luminale
Societäts-Verlag 2012,
244 Seiten. 12,80 Euro.www.exploramuseum.de
Glauburgplatz 1, 60318 Frankfur
* Alf Mayer, Jahrgang 1952, freier Journalist, Bad Soden/Ts. Filmredakteur MEDIUM, Kultur bei Lufthansa und IG Metall, Direktor der Filmbewertungsstelle Wiesbaden (FBW). Krimi-Kolumne "Blutige Ernte" im Frankfurter "Strandgut" und bei www.glanzundelend.de. War mit Krähenbuch-Verleger Karl Anders befreundet, notierte und puzzelte dessen Lebensgeschichte als "Mann der uns Chandler und Hammett brachte". Dazu im Winter 2007 im Literaturhaus Frankfurt eine Ausstellung mit schönem Katalog: „anders denken. Krähen-Krimis und Zeitprobleme: der Nest-Verlag von Karl Anders„ mit rund 1000 Abbildungen, darunter alle Krähen-Krimis.